„Umarme die Gotik in Kulm“ – und verliebe dich
Unter diesem Motto stand der Ausflug am Samstag, den 21. Juni, zum Europäischen Tag der Backsteingotik – eine einmalige Gelegenheit, die Schätze der mittelalterlichen Architektur in einer Stadt kennenzulernen, die auf eine 792-jährige Geschichte zurückblickt. Kulm, malerisch auf neun Hügeln gelegen, zieht schon allein durch seine Silhouette die Blicke der Autofahrer auf der S5 auf sich.

Quelle: Andrzej Niśkiewicz
Doch nicht nur die Reliquien des heiligen Valentin – des Patrons der Verliebten, der Epileptiker und Menschen mit Nervenleiden – machen die Stadt besonders. Auch der Umstand, dass hier Nikolaus Kopernikus und seine Verwandten weilten, dass Ludwik Rydygier, Arzt und General, hier lebte und praktizierte – einst Schüler des örtlichen Gymnasiums und später Absolvent der renommierten Universität Greifswald. Er führte eine der weltweit ersten Magenresektionen durch.
Aus Kulm stammt zudem der deutsche Sozialdemokrat Kurt Schumacher, nach dem Zweiten Weltkrieg beinahe Bundespräsident, KZ-Häftling u. a. in Dachau, dessen Porträt zwischen 1979 und 1993 die 2-DM-Gedenkmünzen zierte. Nach ihm ist das Europäische Jugendbegegnungszentrum am nahegelegenen Starogrodzkie-See benannt. Ebenfalls hier geboren wurde Heinz Guderian, Generaloberst der Wehrmacht, Generalinspekteur der Panzertruppen, militärischer Theoretiker und Autor des Buches „Achtung – Panzer“. Ihm wurden keine Kriegsverbrechen vorgeworfen – vielleicht hat seine Stellung sogar dazu beigetragen, dass die Stadt im Krieg verschont blieb.
Nicht zu vergessen Pater Gerwazy Gorczycki, Geistlicher, Komponist und Kapellmeister, Mitbegründer der zweiten Akademie des mittelalterlichen Polens – der Akademie von Kulm, nach Krakau.
Doch das sind längst nicht alle „Großen“ dieser Stadt.
Von der reichen Geschichte Kulms an der Weichsel und seinen bemerkenswerten Menschen erzählte die Stadtführerin Elżbieta Pawelec. Viele historische Fakten und spannende Details kamen später von Anna Grzeszna-Kozikowska, Leiterin der örtlichen Fremdenführer, insbesondere im Pulverturm und im Museum des Landes Kulm – sowie vom gebürtigen Kulmer Andrzej, unserem Reiseleiter. Alles in allem: ein intensiver Tag – reich an Eindrücken, ohne je langweilig zu werden.

Quelle: Andrzej Niśkiewicz
Gotische Schätze, enge Gassen, stille Kraftorte
In der ehemaligen Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt, einem gotischen Bau mit barockem und rokokokem Innenraum, bewunderten wir u. a. die Kapelle der Schmerzhaften Muttergottes von Kulm mit ihrem wundertätigen Bild (1754 gekrönt), den Reliquienschrein und Altar des hl. Valentin, ein spätromanisches gotländisches Taufbecken, die prachtvolle Orgel, sowie ein Hirschkopf, der als natürliches Barometer diente. Und vieles mehr.
Im Pulverturm, heute archäologisches Museum, staunten wir über ein Metallfahrrad (!), im Mädchenturm über Ordensfunde der Kreuzritter – eng war es dort allemal.
Weitere Stationen: der alte Terrassenfriedhof, Reste der Stadtmauer (mehrmals!), die Kirchen St. Martin und Hl. Geist, das Geburtshaus Kurt Schumachers und natürlich das Rathaus-Museum, in dem u. a. ein Wandbild die Salomonische Gerichtsszene darstellt.

Quelle: Andrzej Niśkiewicz
Geschichte, Gedichte, Gänsehaut
Nach einem üppigen Mittagessen im alten Speicher, nun Restaurant, ging es weiter zum Kloster – dem ältesten Teil des „Krakau des Nordens“ oder, wie andere sagen: „Polnisches Carcassonne“.
Im Klosterhof überraschte uns Andrzej mit einer Gedichtrezitation seines eigenen Werks „Hier …“. „Schön“, „bewegend“, „emotional“ – flüsterten die Zuhörer sichtlich berührt. Eine Kopie überreichte der Autor an Schwester Magdalena Pranga, die Provinzoberin.
Von Kreuzrittern bis Kopernikus – Kulm erzählt Europas Geschichte.
Von dort aus genossen wir den Blick von der Terrasse auf das Tal der Weichsel, besuchten die Krypta der Gottesdienerin Magdalena Mortęska, Äbtissin der Benediktinerinnen, die Johanniskirche mit barocker Pracht, einer großen Christusfigur und kostbarem Inventar, die Apotheke Rydygiers, Schatzkammern, Kellergewölbe, die Mestwin-Bastei und das Merseburger Tor (beide aus dem 13. Jahrhundert).

Quelle: Andrzej Niśkiewicz
Spirituelles, sportliches und sommerliches Kulm
Sogar die Jugend war von Geschichte begeistert – auch dank der Barmherzigen Schwestern vom hl. Vinzenz von Paul, die nach den Zisterzienserinnen und Benediktinerinnen diese Gebäude übernahmen und seit über 370 Jahren in der Stadt leben. An dieser Stelle ein Dank an Schwester Anna für ihre Hilfe.
Die körperliche Herausforderung kam dann mit dem Aufstieg auf den Kirchturm: 197 Stufen mit vollem Rucksack! Doch der Lohn war gewaltig – „der schönste Ausblick der Welt“ auf Kulm.
Auch die berühmte „Bank der Verliebten“ nahe dem Grudziądz-Tor durfte nicht fehlen – ebenso wenig ein Spaziergang über die Planty (wie in Krakau) mit Blumenmustern und weiteren Aussichtspunkten. Einige besuchten zudem die Wunderquelle, wo der Legende nach ein blinder Junge nach einer Marienerscheinung geheilt wurde. Jährlich pilgern am 2. Juli Tausende hierher – Kulm ist so auch Marienwallfahrtsort geworden.
Im Park, unweit des Tores mit der Pietà-Kapelle, bestaunten wir Miniaturmodelle von Ordensburgen des Kulmer Landes – und zollten dem berühmten Chirurgen Rydygier Respekt, dessen Klinik einst dort stand.

Quelle: Andrzej Niśkiewicz
Sommernacht über dem See
Erschöpfte, aber glückliche Touristen begrüßten den Sommerabend am Starogrodzkie-See, begleitet von der Band „Ferajna“ aus Bydgoszcz. Hier liegt das Erholungszentrum mit dem Europäischen Jugendzentrum. Der glaziale Rinnensee mit rund 3 km Länge ist ideal für Sport, Wasseraktivitäten und Entspannung.
Und dort spürte man sie: die „Sommer-Sonnenwende-Vibrationen“ – sie gaben uns neue Energie. Einige tanzten sogar. Wir alle sahen eine eindrucksvolle Sobótka-Präsentation der Johannisnacht (Noc Kupały), dargeboten vom örtlichen Folklore-Ensemble „Pomorze“. Den Abschluss machte eine spektakuläre Feuershow.

Quelle: Andrzej Niśkiewicz
Im Dunkeln, fast um Mitternacht, endete unser Aufenthalt in der „Stadt der Verliebten“.
Viele sagten zum Abschied: „Un – ver – gess – lich“
„Warum steht diese Stadt eigentlich noch nicht auf der UNESCO-Welterbeliste?“, fragte Maria Sołtysiak.
Darauf habe ich keine Antwort…
Andrzej Niśkiewicz
Materielles und militärisches Erbe
- Der Chełmnoer Elle (Pręt Chełmiński), von den Kreuzrittern für Städte nach kulmischem Recht eingeführt, misst 4,330 m (bzw. 4,326 m) – früher an der Wand der Pfarrkirche, heute am Rathaus angebracht.
- Vor dem Denkmal des 8. Ulanenregiments (1922–1939 in Chełmno stationiert, Skulptur von Zbigniew Mikielewicz) entstand ein Gruppenbild.
Der berühmte Ulan Bolesław Wieniawa-Długoszowski sagte einst: „Das Herz eines Ulanen, wenn du es in die Hand nimmst – an erster Stelle steht das Mädchen, und vor dem Mädchen nur das Pferd.“